Und was sollte
ich hier, fragte
ich mich. Eine Woche lang war ich so erschüttert bis ins Mark, keinen
meiner vielen schönen Pinsel rührte ich an. Ach, du hast Pinsel
mitgebracht, was willst du denn damit? Die meisten meiner Kollegen hatten
Sprühdosen auf ihrem Sims stehen und jede Menge Krepprollen. Und, um
mich einigermaßen zu retten, schaute ich ihnen ab, was sie damit anstellten.
So nahm auch ich eine Holztafel, bespannte sie mit dickem, angefeuchtetem
Papier, grundierte, ließ es trocknen und sich wunderbar straffen, klebte
einen Streifen Kreppband quer übers Format, fuhr mit verdünntem
Kleister über die Stoßkante des Kreppbands, ließ auch den
Kleister schön trocknen, nahm eine Sprühdose meiner Wahl und sprühte
behutsam. Da ich auf einer Seite des Klebebands mein Blatt säuberlich
abgedeckt hatte, war der Erfolg, nachdem ich Band und Abdeckung abgenommen,
großartig. Im Handumdrehen war ein beeindruckendes Bild entstanden.
Eine ganz exakte Kante auf der einen und ein wunderschöner Verlauf auf
der anderen Seite. Nach einigen Monaten kannte ich viele Kombinationen und
Tricks dieser Malweise. Hardedge, Konstruktivismus. Ja, ich kannte die Bilder
von Mondrian, Albers, Itten. Aber sie hatten nie meine übermäßige
Begeisterung.
Nach einem Jahr fing ich nach Herzenslust zu malen an. Ich hatte alle Kombinationen
des Kreppbands durchgespielt, mit und gegen den Goldenen Schnitt, Monotonie
und Monochromie und alle Farbkreise dieser Welt in den irrwitzigsten Kombinationen
ausgekostet Meine Bilder waren immer angestrengter und vollkommener geworden.
Meine Lehrer nickten wohlwollend, mich aber fingen sie an zu langweilen. Ich
malte also wild drauflos. Besuchte sogar einen Aktkurs, ganz was Unmögliches
für jemanden aus der Malklasse, soetwas Altmodisches war Vorkürslern
angemessen. Auch wollte ich mich in die Geheimnisse der Radierung einweihen
lassen, gleichfalls ein Unterfangen für Gestrige. Fast nur Kandidaten
der Kunsterzieherklasse übten sich in solch verstaubtem Metier.
Dergestalt war die Stimmung in der Schule. Immerhin hatte ich Glück,
in der Schweiz zu sein. In Deutschland tobte der offene Aufruhr. Der Rektor
der münchner Akademie war von den Studenten verjagt worden. Das Kriterium
der Zulassung lag im Studentenrat, nicht die Begabung zum Malen, sondem revolutionäre
Gesinnung waren gefragt. In Basel ging alles gesittet zu. Außer den
joints, die im Audimax kursierten, hielt sich die revolutionäre Stimmung
in Grenzen. Nur was das Malen anging, herrschte blanke Anarchie. Fanden wir
von der Malklasse einen VW mit Polyurethan einzuschäumen, das monströse
Gebilde violett zu streichen, sei ein revolutionärer Akt, und erst recht,
als wir ihn auf einen Sockel hievten, wo wir zuvor eine Gruppe schweizerischen
Landvolks in Bronce abmontiert hatten, so fanden das andre als abgefeimten
Stumpfsinn oder viel zu lahm.
Seither hab ich viele Strömungen kommen und gehen sehn. Neue Wilde, Neue
Symbolisten, ars ecclectica und ars bucolica, die Narrativen, die Konzeptuellen,
die Jünger der neuen schwelgenden Üppigkeit. Wohl dem, der eine
Nische fand, wo noch keiner drinsaß. Ist der Kopffüßler schon
erfunden, das Nageln? Ist die Zigarettenkippe schon in die Kunst eingeführt,
oder das Malen der Gegenstände auf dem Kopf? Alle Tage waren wir damit
beschäftigt, uns einzuklinken in den Reigen der Entdecker neuer Kunstrichtungen.
Du, ich weiß was, ich mal jetzt alles überdimensional groß.
Quatsch, das gibts doch schon. Gut, dann mal ich eben alles winzig klein.
Mit Scheiße hatte auch schon jemand gemalt, mit Schokolade sowieso.
Was ist mit Eat-art? Auch schon da.
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