Holzschnitt, Radierung und Lithografie sind hochgradig spezialisiert und weisen daher auch prägnante Unterscheidungsmerkmale auf. Eine Markanz, die in der Regel mit ästhetischen Grenzen zu bezahlen ist. Wer sich auf die Produktion von Druckkunst einläßt, weiß um diese Beschränkungen. Das heißt aber nicht zwangsläufig, sich diesen Vorgaben auch zu unterwerfen. Rolf Hannes jedenfalls gewinnt dem Holzschnitt neue Möglichkeiten ab. Derlei Vorhaben sind meistens mit dem Austesten und Hinausschieben der Grenzen des Metiers verbunden, beim vorliegenden Buch vom Sehen geht es um die Grenzen zur Graphik. Der Künstler löst die herkömmliche Dominanz der Fläche in Felder aus fein gezogenen Parallelen auf. Ein Verfahren, das höchste Konzentration erfordert. Der kleinste Fehler bereits zerstört die ganze Druckplatte. Die Technik, die hier erprobt wird, erinnert an die Schraffur, und das Ergebnis ist eine Entdeckung der Langsamkeit, denn anders als bei der schnell hingeworfenen Schraffur heben diese Holzschnitte Linie für Linie im buchstäblichen Sinne hervor und verleihen ihnen so die Stabilität und das Gewicht bildtragender Elemente. Trotzdem bleiben sie immer leicht, weil auf den ersten Blick klar ist, daß sie einem widerständigen Material abgerungen wurden. Gemäß seines geometrischen Ansatzes beschränkt sich der Künstler hauptsächlich auf ein Formenregister aus Quadraten und Dreiecken. Felder verschieden ausgerichteter Parallelen und/oder Leerilächen versetzen die Bildfläche in Spannung.

Kunst gibt nicht Sichtbares wieder sondern macht sichtbar. Dieser Gedanke von Paul Klee heißt nichts anderes, als daß Bilder nicht nur zu sehen geben, sondern immer auch auf irgend eine Weise vom Akt des Sehens selbst handeln. Auch wenn nicht explizit thematisiert, so gibt doch jedes Bild, das den Anspruch erhebt, Kunst zu sein, ein Sehmodell Rolf Hannes geht nun noch einen Schritt weiter, wenn er das selbstverständlich Erscheinende problematisiert. Es ist nämlich zweierlei, ob ein Bildinhalt als Sehbeispiel dient, oder ob sich das Bild allein um die Wahrnehmungsgesetze des Auges dreht. Wahrnehmungsbedingungen werden uns aber dann am besten bewußt, wenn sie an ihre Grenzen stoßen. Der Künstler, der sich nicht nur mit einem Text auf Hugo Kükelhaus beruft, unterläuft die Schemata, die uns das Auge diktiert, indem er etwa das elementare Hintergrund-Figur-Schema außer Kraft setzt oder unsere Orientierung an Konturen oder das Sehen in Kontrasten. Ja, die geometrischen Formen selbst verweisen darauf, daß sehen auch heißt, die Umwelt zu übersichtlichen Formen zu vereinfachen. Dennoch: die Bilder übertölpeln das Auge nicht. Die Wahrnehmung wird nie ausgehebelt und, was bei dieser Technik immer ein leichtes wäre, an die optische Täuschung verspielt. Aufmerksam bewegt sich der Künstler innerhalb der Grenzen dessen, was das Auge verarbeiten kann. Er demonstriert das geradezu an dem Bild Tektonische Verwerfungen. Dieses Bild wagt sich vor bis zur Grenze der optischen Täuschung, ohne hinüber zu switchen. Damit markiert es die optische aber auch ästhetische und thematische Grenze der gesamten Serie.

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