Die Attraktion der Einzelbilder soll
indes nicht die Tatsache verdrängen, daß es um ein Ganzes, nämlich
den Kontext aus Bild und Text geht. Auch wenn Hannes im einen oder
andern Fall einen Text und ein Bildmotiv ausdrücklich miteinander verbindet,
so will das Gesamte doch als eine Vernetzung verstanden werden, die erst mit
einem beliebigen Blättern im Buch entsteht, wobei es Sache der Betrachter
und Leser bleibt, welche Kontexte sich aufbauen. Es ist kein Zufall, daß
Hannes die Buchform wählt, denn das Buch ist das Medium, das immer mehr
Platz in seiner Arbeit beansprucht. Während der letzten Jahre produzierte
er eine Unzahl von Künstlerbüchern, und meistens ging es hier um
beides: Wort und Bild. Aus der ursprünglichen Kombination aus
Skizzen- und Tagebuch entwickelte sich eine autonome künstlerische Form.
Wie er sich sonst von der Leere der Leinwand herausgefordert fühlt, fühlt
er sich hier von der leeren Seite eines Buchs provoziert: zu malen, zu schreiben,
aufzuschreiben und zu zitieren. Schon früh im Leben spielt das Buch eine
entscheidende Rolle. Die kindliche Faszination rührte aus der doppelten
Attraktion des Buchs als einem sinnlich erfahrbaren Gegenstand einerseits
und als einem Träger Neugier weckender Botschaften andrerseits. Es lag
nahe, die Passion zum Beruf zu machen. In einem Verlag lernte Rolf Hannes
alles, was zur Herstellung von Büchern notwendig war, so auch das Drucken
- in einer Zeit, als es noch keine elektronischen Schriftprogramme gab, und
Drucken noch als eine Kunst galt.
Die Tatsache, daß Menschen dem Buch schier verfallen können, hat
jedoch eine Dimension, die alles Persönliche überspannt. Bücher
sind Speicher der Schrift, und die Schrift ihrerseits konstituiert und definiert
unsere Kultur im Allgemeinen wie im Besonderen. Grundsätzlich hat jedes
Buch mit dem Sehen zu tun, denn die Schrift stellt die flüchtige gesprochene
Sprache still und macht sie sichtbar. Von hier aus ergeben sich noch einmal
Bezüge zu den Holzschnitten. All die Parallelen erinnern in ihrer Schwärze,
Regelmäßigkeit und ihrem Format an Buchzei!en. Wenn aber von der
Schwärze die Rede ist, ist auch das Weiß von Bedeutung. Edmond
Jabès, der Philosoph und Dichter des Buches schlechthin, äußert
sich folgendermaßen: »Doch das Weiße ist weit stärker,
es ist heftiger als der Text selbst. Die Schrift muß schon eine enorme
Eigenkraft haben, um das Weiße ertragen zu können.« Und genauso
ist, sobald vom Sehen die Rede ist, der Blinde Fleck zu thematisieren. So
zum Schluß ein Gedanke Jacques Lacans, der einmal gesagt hat: "Wir
haben Augen, um nicht zu sehen.«
Herbert M. Hurka zur Vorstellung des Buchs in der Galerie Walter, Freiburg
am 9. 10. 1999